Ein Theaterstück in Münster über organisierten sexuellen Missbrauch, in dem zwei von sexualisierter Gewalt betroffene Menschen aus ihrer Kindheit berichten.
Die Regisseurin Karen Breece hat im Frühjahr 2024 für das Theater Münster ein Theaterstück über den Tatkomplex Münster und andere Fälle sexualisierter Gewalt auf die Bühne gebracht. “Kinderhäuser” heißt dieses Stück, benannt nach dem Stadtteil Kinderhaus in Münster, in dem jahrelang pädokriminelle Straftaten stattfanden. Wir haben es uns angesehen.
Im Theaterstück spielen drei Schauspielerinnen und Schauspieler drei Mütter, die in Kinderhaus an einem Spielplatz sitzen und sich über das unterhalten, was sie über den Tatkomplex Münster wissen. Sie spielen aber die Nebenrollen. Sie schaffen den Rahmen und unterstützen zwei andere Personen dabei, sich selbst zu vertreten: Melanie Hach und Martin Schmitz, zwei von sexualisierter Gewalt in der Kindheit betroffene Menschen, die sich inzwischen als Aktivist*innen in der Betroffenenselbstvertretung engagieren. Sie und ihre Berichte nehmen dem Theaterstück die Fiktionalität – was da auf der Bühne besprochen wird, ist real.
Melanie Hach berichtet aus diversen Gewaltsituationen ihrer Kindheit und über das Schweigen all derer, die davon gewusst haben, z.B. über die Mitarbeiterinnen eines Kinderheims, in dem sie gelebt hat, und in dem die sexualisierte Gewalt in erschreckendem Maße weiterging. Martin Schmitz beschreibt die Folgen der Gewalt, die er als Messdiener in der katholischen Kirche erlebte.
Dabei liegt der Fokus des Stückes nicht auf den Taten und der Gewalt (konkrete Schilderungen blitzen immmer nur kurz auf), sondern eben auf den Folgen. Vor allem darauf, wie nicht direkt betroffene Menschen damit umgehen. Wie die Justiz diese Fälle behandelt, wer schweigt, wer spricht, und wer von den Taten und dem Geld, das damit verdient wurde, profitiert. Außerdem haben die beiden Protagonist*innen auch Raum, aus ihrem Leben nach der Gewalt zu berichten, wie sie sich weiter entwickelten und welches vielfältige Leben sie heute führen können.
Das Stück ist ab 18 Jahren empfohlen, denn die Gefühle, die es auslöst, sind intensiv und die Sprache teilweise drastisch. Dennoch bleiben die Gewaltschilderungen selbst auf wenige kurze Erwähnungen reduziert. Das, was unter die Haut geht, sind die vielen Fakten, z.B. zum Tatkomplex Münster. Der Bericht über eine plötzliche, unerwartete Begegnung mit einem Täter. Oder die Frage “Warum hat Schwester X geschwiegen?”, die einfach nicht beantwortet wird. Die Stille nach dieser Frage steht laut im Saal. Solchen Theater-Momenten kann sich niemand entziehen.
Die Wut und die Hilflosigkeit, die solche Taten auch bei denen auslösen, die erst durch Medienberichte und Gerichtsprozesse davon erfahren, werden sehr deutlich. Ist die Unterscheidung in “Betroffene” und “Nicht betroffene” Menschen überhaupt richtig? Sind wir nicht alle davon betroffen, dass wir in einer Gesellschaft leben (eine Gesellschaft zulassen), in der organisierte sexualisierte Gewalt in dem Ausmaß, in dem es in den vergangenen Jahren bekannt wurde, möglich ist?
In der nachfolgenden Diskussion mit dem Ensemble, an der wir teilgenommen haben, bedankten sich mehrere Betroffene aus dem Publikum dafür, dass auch sie dem Stück gut folgen konnten, ohne retraumatisiert zu werden. Es ist auch ein Psychologe im Theater ansprechbar während der Aufführung, aber er berichtete, er sei bislang noch nicht kontaktiert worden. Trotzdem ist sein Angebot ein Zeichen dafür, dass es dem Theater ernst damit ist, sensibel mit den Belastungen des Themas umzugehen.
Wir empfehlen allen, die sich mit der Thematik beschäftigen, sich das Stück möglichst noch anzusehen. Es gibt noch Aufführungen im Mai, Juni und Juli 2024.
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