Eine der Falschdiagnosen, die ich auf meinem Lebensweg eingesammelt habe, ist 'Zwanghafte Persönlichkeitsstörung'. Ich war durch mein überkontrolliertes Verhalten aufgefallen, man wusste es nicht recht zu beschreiben, es war so deutlich und gleichzeitig passte es zu nichts. Korrekt hätte man es unter 'Trauma' eingeordnet.
Ich bin in einer elitären Gruppe groß geworden. „Wir müssen die Dummen führen“, war ein Leitsatz meiner Erziehung. Es wurde viel Wert auf Bildung gelegt in den Bereichen, die einem elitären Gedanken entsprachen. Schwäche zeigen, Hilfe brauchen, zwischenmenschliche Bedürfnisse, alles nicht erlaubt. Man durfte Emotionen haben, aber man durfte sie auf gar keinen Fall zeigen und die größte Todsünde war impulsives Handeln. Wie vulgär! Und wie heuchlerisch, dass auch diese Gruppe ihr Geld mit Trafficking gemacht hat. Natürlich mit den Trieben der Anderen. Die eigenen waren ja durch Disziplin gebändigt und wurden nur gezielt eingesetzt. Und wie verdreht ist eine Welt, in der man konditioniert wird, sich selbstbeherrscht zu zeigen. Sich zu fühlen, als wäre man selbst in Kontrolle. Aber man darf niemals damit aufhören.
Auch wenn ich heute weiß, dass das vor allem dazu diente, die Täter zu schützen, mir nichts anmerken zu lassen, komme ich aus der Überkontrolle nicht raus. Im Gespräch zeigt mein Gesicht keine Emotionen, die nicht der Situation dienen. Therapeutinnen sind auf jemanden wie mich selten vorbereitet. Sie erleben normalerweise, dass traumatisierte Menschen impulsiv handeln und ihre Werkzeuge sind darauf ausgerichtet. Für Opfer und Hilflose gibt es Geduld, Mitgefühl und Unterstützung. Für so einen kalten Brocken wie mich gibt es im besten Fall Untätigkeit, meistens aber harte Konfrontation, Druck und Beschämung. Ich sei ja nicht menschlich, sagte man mir in einer Klinik, nachdem man vergeblich versucht hatte, mich zu 'knacken'.
Inzwischen bin ich bei einer Spezialistin. Die versucht mir beizubringen, mich natürlich zu verhalten. Dinge zu tun, wie ich sie empfinde. Meinen Impulsen zu folgen. Aber mehr als alles bringt sie mir bei, dass es Wahlmöglichkeiten gibt. Ich kann kontrolliert sein, ich kann aber auch mal was anderes probieren. Ich kann zum Beispiel meine Gefühle in Worte packen und sie aufschreiben.
Dann ist es mir möglich zu sagen: es ist einsam hier drüben, auf der anderen Seite einer gläsernen Wand, getrennt von allen Menschen, mit denen ich gerne viel mehr, viel näher, zu tun hätte. Ich wäre so gerne eine bessere Freundin, mitfühlender und weniger im Kopf und ich bin abgrundtief traurig darüber, wie es ist. Ich träume davon, einfach lachen zu können, oder weinen, oder laut schimpfen, wenn mir etwas nicht passt. Und ich wünsche mir, dass es jemand schafft, hinter die Überkontrolle zu schauen und zu sehen, dass da auch nur ein Mensch steht, der Annahme braucht und nicht noch mehr Kritik, weil ich so unnatürlich bin. Hinter der Fassade liegt ein Meer von Not. Wenn für die einen immer nur das Gehirn was wert war, für die anderen nur der Körper, was glaubt ihr, wie es dem Herzen geht? Es ist nicht nötig, hart mit mir zu sein, nur weil ich hart geworden bin.
Theresa von DIS-SOS (https://www.dis-sos.com/willkommen/)
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